Prognosemärkte: FAQ

Welche Beispiele für kollektive Intelligenz gibt es?

Bereits 1906 entdeckte der britische Forscher Francis Galton auf einem ländlichen Markt eher zufällig das Phänomen. Er ließ rund 800 Personen, welche über unterschiedlichste Fachkenntnisse verfügten, das Gewicht eines Ochsen schätzen. Der Mittelwert betrug 1197 Pfund; das tatsächliche Gewicht des Ochsen 1198 Pfund [Suro2004, 7ff]. Eigentlich angetreten, die Dummheit der Masse wissenschaftlich zu belegen, bewies Galton die Intelligenz der Masse, die "Vox populi" (lat. "Stimme des Volkes").

In der beliebten TV-Show "Wer wird Millionär?" findet in 91 % der Fälle das Studiopublikum die richtige Antwort, während in einer Untersuchung Experten eines jeweiligen Themas nur 65 % der Fragen unter Zeitdruck richtig beantworten konnten [Suro2005, 23f].
Diese und zahllose weitere Experimente manifestierten die Existenz von kollektiver Intelligenz.

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Auf welcher Hypothese basiert das Prinzip von Prognosemärkten?

Der Wirtschaftsnobelpreisträger Friedrich August von Hayek stellte 1945 die These auf, dass der Wettbewerb auf Märkten der optimale Mechanismus zum Erreichen einer effizienten Allokation wäre. Dies gelte auch dann, wenn die einzelnen Marktteilnehmer nur über unvollständige Informationen verfügten. Die Fähigkeiten der "Informationsenthüllung" und der "Informationsaggregation", die er Märkten unterstellte, führten Hayek zur Behauptung, dass Märkte das denkbar beste Verfahren darstellten, Informationen gesellschaftlich nutzbar zu machen [Hay1945, 519ff].

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Wie hoch ist die Abweichung in pro:kons Projekten?

Der mit pro:kons umgesetzte politische Prognosemarkt zur österreichischen Nationalratswahl 2006 kam zu folgendem Ergebnis:

Die nachfolgende Grafik veranschaulicht den Kursverlauf während des Monats September der fünf gehandelten Aktien (exkl. "Andere").


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Wo liegen die Unterschiede zwischen Prognosemärkten und Marktumfragen?

Im Gegensatz zu Marktforschungen erfordert eine gute Börsenprognose keine Repräsentativität der Teilnehmer, weil die Händler nicht ihre Wahlabsicht, sondern ihre Meinung über die Wahlabsicht anderer in ihrem Verhalten am Markt ausdrücken [Hub2002, 131]. Anders formuliert: Im Unterschied zu den klassischen Umfragen lautet die Frage, die sich der erfolgsorientierte Online-Händler stellt, nicht "Was würden Sie wählen?", sondern: "Was glauben Sie, werden die Anderen wählen?"

Des Weiteren erheben Umfragen die aktuelle Stimmung zwar sehr gut, jedoch sind sie sehr stark auf den Erhebungszeitpunkt bezogen und erlauben damit keine (längerfristige) Prognose im eigentlichen Sinne. Jeglicher Versuch einer Vorhersage macht eine repräsentative Erhebung zu einer unrepräsentativen Expertenschätzung [Hub2002, 165].
Prognosemärkte benötigen hingegen nur die Entschlossenheit ihrer - freiwillig - teilnehmenden Händler. Unentschlossenheit und Antwortverweigerungen gibt es zudem genauso wenig wie eine von der Größe einer Stichprobe abhängige Schwankungsbreite. Auch liegt hier die sogenannte kritische Masse viel niedriger, denn schon mit 30-50 Händlern lassen sich Prognosen "erstellen".

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Warum sind Prognosemärkte für das Individuum interessant?

Der ständige Handel auf einem Prognosemarkt liegt primär darin begründet, dass einzelne Händler über unterschiedliche, subjektive Informationen verfügen und vorhandene Informationen unterschiedlich bewerten, woraus sich kongruente Erwartungen über die Zukunft ergeben [Hub2002, 168].
Kurzum: Eher spielerisch nähern sich Börsensimulationen ihrem eigentlichen, wissenschaftlich fundierten Element, der Prognose. Ihr spielerischer Aspekt ist jedoch weniger ein Nachteil, denn vielmehr in den meisten Fällen die Voraussetzung für den erfolgreichen Abschluss und die Prognosefähigkeit der Simulation. Ihr Erfolg setzt aber im Gegensatz zu einem Tipp- oder Wettspiel, aber auch zu einer Umfrage die kontinuierliche Teilnahme der Trader voraus. Den Spieltrieb weckend, erleichtern sie eine mitunter auch zeitintensive Partizipation, die kaum jemand sonst freiwillig für ein eher trockenes wissenschaftliches Experiment aufbringen würde.

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Sind Prognosemärkte manipulierbar?

Grundsätzlich gibt es 2 Typen von Manipulationen:
  • Teilnehmer versuchen sich zu bereichern und wollen durch unlautere Mittel in der Rangliste aufsteigen.
  • Teilnehmer versuchen durch Inkaufnahme von persönlichen Verlusten den Wert einer Aktie bewusst zu beeinflussen.

Durch die grundsätzliche Methodik von Prognosemärkten können Manipulationen den Kurs einer Aktie nicht nachhaltig beeinflussen. In vergangenen Projekten konnte eine sehr hohe Resistenz der Aktienkurse beobachtet werden und somit belegt werden, dass die Prognosegüte der Wahl-Prognosebörse durch Manipulationen nicht beeinträchtigt wird. pro:kons kann als Softwarelösung mit hoher Markterprobung (seit 1999) mit einer besonders hohen Anzahl an Sicherheitsmechanismen aufwarten, welche mögliche Manipulationsversuche frühzeitig erkennen.

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Können "Querulanten" die Seriosität von Prognosemärkten gefährden?

Brüggelambert beschreibt den "destruktiven" Teilnehmer als jemanden, der Spaß daran hat, völlig unsinnige Entscheidungen zu treffen bzw. sich daran erfreut, dass das Experiment nicht funktioniert und zieht aus entsprechenden Handlungen seinen Nutzen. Aus Marktbeobachtungen wissen wir, dass dieser Teilnehmertyp, so überhaupt vorhanden, nur eine Minderheit darstellt. Da Prognosemärkte zumeist als Nullsummenspiel konzipiert sind, sind unsinnige Entscheidungen eine Chance für einen anderen Teilnehmer aus dieser Situation Gewinne zu erzielen. Diese Gewinnmöglichkeit ist durchaus ein Anreiz für die Teilnehmer, den Markt genau zu beobachten, und erhöhte dadurch die Attraktivität der Märkte.

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Wie sieht ein typisches Anreizsystem für Teilnehmer aus?

Grundsätzlich gilt: "Nur wer, durch ein geeignetes Anreizsystem motiviert, freiwillig an einem Markt teilnimmt (volunteer, self selected trader), wird in der Regel die für eine erfolgreiche Teilnahme notwendige Informationsverarbeitungsbereitschaft mitbringen" [Ortner1996, 48].
Aus Umfragen in vergangenen Projekten (ÖNW 2002) wissen wir, dass die Motivation für eine Teilnahme an politischen Prognosemärkten vor allem aus "politischem Interesse" und "Neugier", an dritter Stelle aus "Spielfreude" erfolgt. Mit großem Abstand folgt eine konkrete Gewinnabsicht (Preisgewinn).

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Was versteht man unter politischen Prognosemärkten?

Bei politischen Prognosebörsen - engl. political prediction markets - handelt es sich um Zukunftsaktien (Futures) auf ein Wahlergebnis. Die Preise, zu denen die Parteiaktien gehandelt werden, werden durch das Prinzip "Angebot und Nachfrage" bestimmt [Hub2002, 12]. Der Preis einer Aktie repräsentiert die Prognose des Wahlergebnisses einer Partei zum jeweiligen Zeitpunkt.
Die Börse verfolgt also das Ziel, über die Gesetze von Angebot und Nachfrage aus den Erwartungen der einzelnen Händler eine möglichst exakte Gesamt-Prognose abzuleiten (vgl. "Hayek-Hypothese" unten).

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Wann wurden politische Prognosemärkte erstmalig eingesetzt?

Der erste politische Prognosemarkt wurde 1988 an der University of Iowa durchgeführt. Die Ergebnisse, die Professor Robert Forsythe und seine Kollegen dabei anlässlich der US-Präsidentschaftswahlen ermittelten, waren so überwältigend, dass bis heute die Serie der Experimente nicht abriss und mittlerweile in vielen Ländern politische Prognosemärkte durchgeführt wurden [Hub2002, 13].
Die folgende Tabelle veranschaulicht die Genauigkeit des Prognosemarkts in Bezug auf den Ausgang der US Präsidentschaftswahlen von 1988:


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Wie genau sind politische Prognosemärkte?

Die Resultate der 49 verschiedenen Wahlgänge des Iowa Political Stock Market (IPSM) im Zeitraum von 1988 bis 2000 sind Gegenstand einer wissenschaftlichen Untersuchung gewesen. Die Preise für IPSM-Papiere am Vorabend der Wahl differierten bei Präsidentschaftswahlen nur um 1,37, bei anderen US-Wahlen bloß um 3,43 und bei Wahlen im Ausland lediglich um 2,12 Prozent mit dem realen Wahlergebnis. Diese Ergebnisse waren in drei Viertel der Fälle genauer als etablierte demoskopische Institute [Suro2005, 42].

Die Prozentangaben orientieren sich an der Maßeinheit MAE (mean average error). Sie gilt als die "fairste" im Zusammenhang mit der Genauigkeit von Umfragen und Prognosebörsen. Sie basiert auf der Summe der absoluten Abweichungen jedes Variablenwertes vom arithmetischen Mittel über alle Untersuchungseinheiten.

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Werden politische Prognosemärkte von Wahlumfragen beeinflusst?

Einerseits wurde bereits 1988 auf den IOWA Electronic Markets beobachtet, dass der damalige Präsidentschaftsmarkt nicht den Wahlumfragen folgte [FNNW1992]. Später resümierte Brüggelambert, dass Wahl-Prognosemärkte nicht losgelöst von Meinungsumfragen betrachtet werden können, den Umfragen aber auch nicht bedingungslos gefolgt wird [Brügg1999, 200].
Untersuchungen zur Eigenangabe der Teilnehmer hinsichtlich Ihres Börsenverhaltens der Universität Innsbruck auf unseren eigenen Märkten zeigten, dass weniger als ¼ der Teilnehmer ihre Handelsentscheidungen auf Grund von Meinungsumfragen trafen. Der "Persönlichen Prognose", "den aktuellen Kursen am politischen Prognosemarkt selbst" sowie "aktuellen Politik- und Wahlkampfereignissen" vertrauen deutlich mehr Teilnehmer. Allerdings wurde auch beobachtet, dass Prognosefehler von Wahlumfragen durchaus auch übernommen wurden [Hau2003, 30]. Aus diversen Forumsdiskussionen lässt sich aber auch ablesen, das Gemeinschaften versucht sind, "Lerneffekte" aus vergangenen Übernahmen von Umfrage-Prognosefehler zu erzeugen.

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Wie sind typische politische Prognosemärkte aufgebaut?

Zumeist wird das Prinzip des Stimmenanteilsmarktes angewandt. Mit jeder (Parteien-) Aktie erwirbt der Teilnehmer das Recht auf eine Auszahlung in der Höhe des tatsächlichen Endergebnisses dieser Partei in Prozenten. Dies erfolgt zumeist mit 'continuous double auction markets' (CDA), einem Marktdesign nach Forsythe [FNNW1992].Es besteht aus einem Primär- und einem Sekundärmarkt und ist mit reellen Wertpapiermärkten vergleichbar.Im Primärmarkt können Teilnehmer jederzeit Aktienbündel (je 1 Stück aller verfügbaren Aktien) zu einem Fixpreis kaufen oder verkaufen. Am Sekundärmarkt können Teilnehmer untereinander handeln.

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Beeinflussen Parteipräferenzen der Teilnehmer die Kursbildung negativ (Judgement Bias)?

Nach Forsythe gibt es zwei mögliche Ursachen für Verzerrungen auf Wahl-Prognosemärkten, die auf Grund einer fehlenden Repräsentativität der Teilnehmer bzgl. ihrer Parteipräferenz die Kursbildung beeinflusst:

  1. Dass Präferenzen eines Teilnehmers für eine bestimmte Partei ihn in der Beurteilung neuer Informationen in seiner Objektivität beeinträchtigen.
  2. Der Teilnehmer die Repräsentativität seiner Meinung für die Gesamtheit aller Teilnehmer überschätzt.

Der Vorteil von Wahl-Prognosebörsen liegt aber darin, dass genau diese Verzerrungen einen kontinuierlichen Handel gewährleisten und jene "marginal traders" begünstigen, welche durch eine hohe Handelsaktivität und Objektivität für die Effizienz einer Wahl-Prongosebörse sorgen.

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Quellenverzeichnis

[Brügg1999] Brüggelambert, Gregor; Institutionen als Informationsträger, Erfahrungen mit Wahlbörsen; 1999

[FNNW1992] Forsythe, Nelson, Neumann, Wright. Anatomy of an experimental political stock market; The American Economic Review; 82(5):11421161; Dec 1992.

[Hau2003] Hauser, Florian; Die Presse Online-Wahlbörse 2002 - Eine finanzwirtschaftliche Betrachtung, Diplomarbeit, Leopold-Franzens-Universität Innsbruck; 2002

[Hay1945] Von Hayek, Friedrich August; The Use of Knowledge in Society. The American
Economic Review; Vol. 4; S. 519-530; September 1945.

[Hub2002] Huber, Jürgen; Wahlbörsen: Preisbildung auf politischen Märkten zur Vorhersage von Wahlergebnissen; Hamburg; 2002

[Ortner1996] Ortner, Gerhard; Experimentelle Aktienmärkte als Prognoseinstrument: Qualitätskriterien der Informationsverarbeitung in Börsen am Beispiel Political Stock Markets; Dissertation, Universität Wien; 1996

[Suro2005] Surowiecki, James; Die Weisheit der Vielen; München; 2005

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